
Chronischer Stress: Arbeiten im Alarmmodus
Chronischer Stress ist kein individuelles Problem – er ist längst ein zentraler Risikofaktor für Gesundheit, Produktivität und Unternehmenskultur. Besonders HR-Verantwortliche stehen heute vor der Herausforderung, präventiv gegenzusteuern. Wie ein wertschätzendes Arbeitsumfeld, psychologische Sicherheit und klare Kommunikation helfen können, den Dauerstress zu durchbrechen – und warum gesunde Mitarbeitende der Schlüssel zur Resilienz im Unternehmen sind.
Lesen Sie in diesem Artikel:
- Was ist chronischer Stress?
- Was sind die Ursachen von chronischem Stress?
- Wie Angst und chronischer Stress zusammenhängen
- Stressreaktion: Der Körper im Alarmzustand
- Wie chronischer Stress krank macht
- Symptome von chronischem Stress
- Erkrankungen durch chronischen Stress
- Was hilft bei chronischem Stress?
- 9 Tipps: Was können Arbeitgeber gegen chronischen Stress tun?
- Gesundheit als Schlüssel zu einem stabilen Arbeitsumfeld
Was ist chronischer Stress?
Akuten Stress kennt sicher jeder: Kribbeln in der Magengrube, ein plötzlicher Adrenalinschub und nervöse Schweißausbrüche vor einer wichtigen Präsentation. Unser Körper ist darauf ausgelegt, mit solchen Herausforderungen umzugehen, sie zu lösen und sich anschließend wieder zu entspannen.
Es gibt aber auch Stressoren, die sich nicht so einfach aus der Welt schaffen lassen. Stattdessen erleben immer mehr Menschen einen konstanten Druck, der nicht nachlässt und dem Körper und der Psyche nachhaltig schadet – chronischer Stress.
Was sind die Ursachen von chronischem Stress?
Gesellschaftliche und wirtschaftliche Unsicherheiten prägen immer stärker das Leben der Menschen in Deutschland. Steigende Lebenshaltungskosten, soziale Spaltung und globale Krisen wie der Ukraine-Krieg verstärken das Gefühl der Bedrohung. Besonders Arbeitnehmende spüren die Auswirkungen: Die Angst vor Jobverlust oder finanziellen Engpässen führt zu stetigem Stress. Hinzu kommt der rasante Wandel der Arbeitswelt durch Digitalisierung, Künstliche Intelligenz (KI) und wachsenden Wettbewerbsdruck.
Wie Angst und chronischer Stress zusammenhängen
Laut der Stress-Studie 2024 von Swiss Life Deutschland fühlen sich 58 Prozent der Deutschen aufgrund ihrer Angst vor Kriegen, politischen Krisen und sozialen Unruhen gestresst, 42 Prozent von finanziellem Sorgen und der Angst vor dem sozialen Abstieg. Ein Drittel der Befragten fühlt sich gestresst, weil es ihnen nicht gelingt, in ihrem Alltag eine angemessene Balance zwischen Arbeit und Privatleben zu finden.
Eine Studie von Headspace aus dem Jahr 2023 beleuchtet die Ängste in Bezug auf Arbeit mit besorgniserregendem Ergebnis. Mehr als die Hälfte der deutschen Arbeitnehmenden (59 Prozent) verspüre mindestens einmal wöchentlich Angst vor der Arbeit, wobei 17 Prozent sogar täglich betroffen sind. Am stärksten belaste die Arbeitnehmenden (47 Prozent) dabei die Angst, noch mehr Verantwortung im Job übernehmen zu müssen. 46 Prozent gaben an, dass sie das Gefühl mangelnder Stabilität und die Sorge, dass etwas passieren könne, belaste. Ebenso 46 Prozent befürchten, die Erwartungen, die an sie gestellt werden, nicht erfüllen zu können. Knapp 40 Prozent fühlen sich von künstlicher Intelligenz bedroht und/oder bangen um ihren Arbeitsplatz.
Stressreaktion: Der Körper im Alarmzustand
Diese realen Ängste, die aktuell geballt auf uns einwirken, bewirken in erster Linie eines: großen Stress! Unser Körper fühlt sich bedroht. Er geht in Alarmbereitschaft, um einer möglichen Gefahr aus dem Weg zu gehen.
Der Körper reagiert mit evolutionär bedingten Schutzmechanismen:
- Herzschlag und Atmung beschleunigen sich,
- Muskeln spannen sich an,
- Körper und Geist sind in einem Zustand ständiger Anspannung,
- die Konzentration fokussiert sich auf die Bedrohung.
"Wenn wir unter Stress stehen, wird unser Blick fokussierter. Wir sind dann mit der vollen Aufmerksamkeit beim Problem, um es gut lösen zu können. Wenn es aber eine Situation ist, die lange anhält oder sich nicht lösen lässt, ist dieser fokussierte Blick eher hinderlich. Wir sind nicht mehr in der Lage, das große Ganze zu sehen. Deswegen ist es in einem solchen Moment hilfreich, wenn uns jemand aus dem Autopilot-Modus rauszieht, damit wir unseren Blick wieder weiten können."
Psychologe und Lebenslagencoach Derya Bobrik
Wie chronischer Stress krank macht
Etwa zwei Drittel der Deutschen fühlen sich manchmal oder häufig gestresst (Statista, 2024). Allerdings ist Stress nicht gleich Stress: Während positiver Stress (Eustress) uns bei der Bewältigung von Herausforderungen unterstützt und Leistungssteigerung fördern kann, hat negativer Stress (Distress) langfristig gesundheitsschädliche Auswirkungen – vor allem dann, wenn er chronisch wird.
Anhaltender Stress (Chronischer Stress) entsteht, wenn der Körper über längere Zeit hinweg unter kontinuierlicher Anspannung steht. Das kann dauerhaft zu Erschöpfung, Konzentrationsschwierigkeiten und sogar zu ernsthaften körperlichen Problemen oder mentalen Erkrankungen wie Depressionen, Burnout oder Angststörungen führen.
Im Jahr 2021 führten psychische Erkrankungen zu den meisten Krankheitstagen und machten 21,8 % der gesamten Fehlzeiten aus. Sie lagen damit vor Muskel-Skelett-Erkrankungen und Atemwegserkrankungen. Im Durchschnitt war eine Erwerbsperson in diesem Jahr mehr als 3 Tage aufgrund einer psychischen Störung krankgeschrieben (TK Gesundheitsreport 2022).
Bereits 2021 gaben laut Statista fast die Hälfte der Befragten an, dass ihre berufliche Tätigkeit die Hauptursache für ihre Stressbelastung ist. Zu den häufigsten Stressfaktoren gehörten hohe Arbeitsbelastung, Termindruck, Unterbrechungen und das Verschmelzen von Berufs- und Privatleben.
Symptome von chronischem Stress
Es gibt kognitive, emotionale, körperliche und verhaltensbezogene Anzeichen für chronischen Stress. „Nicht alle vier dieser Kategorien von Symptomen müssen bei einer Person auftreten“, sagt Rajita Sinha, PhD, Direktorin des Interdisziplinären Stresszentrums von Yale Medicine. „Aber wenn jemand drei bis fünf dieser Symptome über mehrere Wochen hinweg aufweist, könnte er an chronischem Stress leiden.“
- Schmerzen und Beschwerden
- Schlaflosigkeit oder Schläfrigkeit
- Veränderung des Sozialverhaltens, z. B. Emotionaler Rückzug
- Geringe Energie
- Unkonzentriertheit oder trübes Denken
- Veränderung des Appetits
- Erhöhter Alkohol- oder Drogenkonsum
- Veränderung der emotionalen Reaktionen auf andere
Erkrankungen durch chronischen Stress
Chronischer Stress steht im Zusammenhang mit anderen psychischen und physischen Erkrankungen. Dazu können gehören:
- Krankheiten wie Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Magen-Darm-Probleme, Fettleibigkeit und metabolisches Syndrom, Diabetes Typ II und Arthritis
- Abhängigkeit von Alkohol, Nikotin und/oder verschreibungspflichtigen Medikamenten sowie verhaltensbedingte Abhängigkeiten wie Internet-, Essens- oder Spielsucht
- Stimmungsstörungen und Angststörungen, die häufige Nebendiagnosen bei Menschen mit chronischem Stress sind
- Bluthochdruck, Depressionen, Sucht- und Angststörungen sind die Erkrankungen, die am stärksten mit chronischem Stress verbunden sind.
Was hilft bei chronischem Stress?
Eine effektive Stressbewältigung ist unerlässlich für ein gesundes und ausgeglichenes Leben. Achten Sie darauf, regelmäßig Pausen einzulegen und Offline-Zeiten einzuplanen, um Ihre Energiereserven aufzufüllen und sich von der Informationsflut zu erholen. Bewegung fördert die Freisetzung von Endorphinen (Glückshormonen) genauso wie die Pflege von sozialen Kontakten. Aktivitäten, die Ihnen Freude bereiten, schaffen einen wertvollen Ausgleich zum stressigen Alltag und tragen zu Ihrem Wohlbefinden bei.
- Zeitmanagement
Verbessern Sie Ihre Zeitorganisation: Erstellen Sie eine Liste Ihrer wichtigsten Aufgaben und setzen Sie Prioritäten. Delegieren Sie, wo möglich, und reduzieren Sie unwichtige Tätigkeiten. - Bewegung und gesunde Ernährung
Integrieren Sie regelmäßige Bewegung in Ihren Alltag, indem Sie mindestens 30 Minuten pro Tag aktiv sind. Achten Sie gleichzeitig auf eine ausgewogene Ernährung und verzichten Sie weitestgehend auf ungesunde Angewohnheiten, um Ihren Körper zu stärken. - Zeit für Digital Detox
Reduzieren Sie die Zeit, die Sie mit dem Konsum von negativen Nachrichten ("Doomscrolling") und sozialen Medien verbringen, um sich vor einer Überflutung mit negativen Informationen zu schützen. Planen Sie regelmäßige Offline-Zeiten ein, um den Stress zu minimieren. - Gesunde Schlafhygiene
Stellen Sie sicher, dass Sie ausreichend Schlaf bekommen, indem Sie eine regelmäßige Schlafroutine entwickeln. Schaffen Sie eine ruhige, dunkle Schlafumgebung, um die Schlafqualität zu verbessern. Verbannen Sie Handy, Computer und Co. aus Ihrem Schlafzimmer, um Ihren Schlaf nicht zu stören. - Soziale Unterstützung und offene Kommunikation
Suchen Sie den Kontakt zu Freunden und Familie und sprechen Sie offen über Ihre Sorgen und Ängste. Unternehmen Sie Aktivitäten, die Ihnen Spaß machen. Eine unterstützende soziale Umgebung kann helfen, chronischen Stress abzubauen. - Achtsamkeit und Entspannungstechniken
Praktizieren Sie Achtsamkeitsübungen und Entspannungstechniken wie Yoga oder Meditation, um den Geist zu beruhigen und Stress abzubauen. Nutzen Sie Atemübungen wie die 4-7-8-Atemübung, um in stressigen Situationen zur Ruhe zu kommen. - Professionelle Hilfe und individuelle Lösungen
Scheuen Sie sich nicht, professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen, wenn der Stress überwältigend wird.
9 Tipps: Was können Arbeitgeber gegen chronischen Stress tun?
Unternehmen können aktiv dazu beitragen, die mentale Gesundheit ihrer Mitarbeitenden zu stärken. Denn ein gesunder Geist in einem gesunden Körper ist nicht nur persönlich von Vorteil, sondern auch die Grundlage für eine resiliente und zukunftsfähige Arbeitswelt. Ein wertschätzendes Arbeitsumfeld und gezielte Maßnahmen im Betrieblichen Gesundheitsmanagement können helfen, die psychische Belastung zu reduzieren:
- Offene Gespräche führen: Mitarbeitende sollten sich sicher fühlen, Ängste und Belastungen ansprechen zu können.
- Arbeitsbelastung anpassen: Klare Aufgabenstrukturen und realistische Zielsetzungen helfen, Überforderung zu vermeiden.
- Stressbewältigungsprogramme anbieten: Workshops zu Achtsamkeit, Resilienz und Stressmanagement können entlasten.
- Flexible Arbeitsmodelle ermöglichen: Homeoffice und flexible Arbeitszeiten können den Stress reduzieren.
- Psychologische Unterstützung bieten: Betriebsärzte oder externe Beratungsangebote können helfen.
- Gesunde Unternehmenskultur fördern: Regelmäßiges Feedback, Anerkennung und eine wertschätzende Kommunikation sind entscheidend.
- Vor allem in Veränderungsprozessen, aber auch sonst: Klare Zielvorstellungen und Perspektiven geben Mitarbeitenden Sicherheit und reduzieren Stress durch Angst.
- Gesunde Fehlerkultur: Durch einen guten Umgang mit Dingen, die schief laufen, entsteht eine psychologische Sicherheit im Team, die wiederum das grundsätzliche Stresslevel reduziert.
- Stärkenfokus statt Problemfokus: Schaffen Sie ein Arbeitsfeld, in dem Ihre Mitarbeiter:innen bewusst ihre Stärken einsetzen können. Studien zeigen, dass Menschenauf diese Weise weniger Stress erleben und eine bessere Psychohygiene haben.
Gesundheit als Schlüssel zu einem stabilen Arbeitsumfeld
In einer Welt voller Unsicherheiten ist es entscheidend, dass Unternehmen aktiv in die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeitenden investieren. Ein unterstützendes Arbeitsumfeld, das auf die Bedürfnisse der Beschäftigten eingeht, kann nicht nur den individuellen Stress verringern, sondern auch zu einer resilienteren und gesünderen Gesellschaft beitragen. Nur mit einem gesunden Geist und Körper können wir die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt meistern.